„Aber jetzt – tu es“
Die Zeit zwischen dem Bubenwunsch in der elterlichen Küche und seiner heutigen Position als Stützpunktleiter in Salzburg war nicht immer lustvoll – hartes Arbeiten, Verzicht, Selbstzweifel und Rückschläge kommen Brändle in den Sinn, als er eine Bilanz ziehen soll. Aber da ist die eine Szene: Thomas hat sich eine Flugschule ausgesucht. In Amerika, denn in Österreich gibt es nichts. Doch er wird Geld brauchen. Er will den Vater nicht fragen, denn es gibt sieben Kinder in der Familie. Man lebt bescheiden. „Der Vater ist aufgestanden, hat sich umgedreht. Und hat mich angeschaut“, erzählt Brändle. Dann die Worte des Vaters: „Ich habe immer gehofft, Bub, du machst das nicht. Aber jetzt – tu es.“Der Friseur nahm einen Kredit auf, der „Bub“ konnte in die Flugschule nach Arkansas gehen. „Immer, wenn es hart war und ich fast verzweifelt wäre, habe ich an diesen Moment bei uns daheim gedacht. Das hat mich dann aufgerichtet. Ich habe mir gedacht: Den Vater, den enttäusch’ ich nicht.“
Die Angst wird verdrängt
Zwischenfrage: Was ist so toll daran, mit einem Hubschrauber Schwerstverletzte zu holen, stets unter Zeitdruck, oft unter hohem Risiko? Für Brändle stellt sich die Frage nicht. Es ist nicht nur die Kraft der Maschine, die Geschwindigkeit, die Chance, Leben zu retten – für Brändle ist es mehr. Das, was er sich eingebildet hat und einfach machen musste.Angst? „Die verdrängt man.“ Und überhaupt: Ein Maurer könne ja auch vom Gerüst fallen. Ein Teil der Risikominimierung, doziert er jetzt, bestehe im „Nein-sagen-Können“. Dass man, wenn die Verhältnisse schlecht seien, einen schwer Verletzten auch einmal liegen lasse. „Man muss sich an die eigenen Grenzen und die der Maschine herantasten. Dann ist die Gefahr berechenbar.“
Ob das seine Frau, mit der er mittlerweile drei Söhne hat, genauso sieht? „Manchmal, wenn einem Kollegen ein Unfall passiert ist, sagt sie mir schon, dass sie sich Sorgen macht. Aber dass sie verlangen würde, dass ich mir etwas anderes suche, glaube ich nicht. Weil sie weiß, wie wichtig mir das ist, und weil sie keinen unglücklichen Mann daheim haben will.“
Illegal in den USA
Rückblende: Ende der Achtziger, Brändle ist fertiger Pilot. Aber es gibt keine Arbeit, denn er hat keine Flugerfahrung. Er bekommt keine Flugerfahrung, denn er hat keine Arbeit. Wieder geht er weg, diesmal nach Los Angeles. „Eine verrückte Zeit. Ich war illegal in den USA, ich lebte unter falschem Namen. Fast wäre ich ausgewiesen worden – ein Erdbeben hat aber solches Chaos ausgelöst, dass die Behörde von mir abließ.“ Irgendwie kratzt das „Greenhorn“ Flugstunden zusammen, zum Geldverdienen putzt er die Flieger reicher Amerikaner. Es folgten Stationen als Pilot bei Knaus in Bischofshofen und, zwischendurch, als Flieger für Touristen und Außenlasten auf den Seychellen. Brändle fliegt für die Wildbachverbauung, für Fernsehdokumentationen. Erst als 2001 der ÖAMTC ein bundesweites Flugrettungssystem aufstellt, „wird auf einmal ein Haufen Piloten gebraucht“. Brändle ist einer davon, endlich ist er sesshaft.Doch in seinem Leben ist der Tod ständiger Begleiter: Patienten sterben, ehe Brändle gelandet ist. Andere sterben während des Rettungsflugs oder später – und er erfährt es aus den Nachrichten. Ist das schwierig? „Nein“, so die klare Antwort. „Wenn ich einen Toten sehe, denke ich nur: Für den ist es jetzt vorbei. Sorgen hat er jetzt keine. Mehr nicht.“
Kein Interesse am Jenseits
Ob es wohl ein Leben nach dem Tod gibt? „Es gibt sicherlich einen Gott, das wird schon alles seine Richtigkeit haben. Wenn es so weit ist, werde ich es wissen.“ Das sagt einer, dessen Ehefrau Mitglied der Christengemeinde Loig ist. „Aber ich mache mir keine Gedanken über Himmel und Hölle. Ich finde mein Leben erfüllt und lebe im Hier und Jetzt. Ich habe, was ich will.“Und doch: Brändle erinnert sich an die erste Patientin, die hinten in seinem Hubschrauber starb. „Der Arzt schrie: ,Scheiße, Scheiße, die Aorta ist geplatzt!‘ Und tot war sie. Damals hab’ ich mich gefragt: Wo ist die jetzt? Und da habe ich mich beobachtet gefühlt und einen Moment gedacht, sie schwebt neben meinem Cockpit.“